Brigitte Oleschinski – wie die Wörter auftauen

Kim Hyesoon – An den Strömen von Formalin

Tim Holland – all die kleinen steine

Simone Kornappel – pardon et al

Ann Cotten – Raummeter

Nico Bleutge – öffne die tür

Charlotte Warsen – in den Säften

Brigitta Falkner – Strategien der Wirtsfindung #1

Barbara Köhler – Ins Öffenliche

Brigitte Oleschinski


wie die Wörter auftauen

              aus ihren Winterquartieren, in denen sie
Jahrzehnte geschlafen haben, tief im Berg, heißt es, oder
von manchen: seit Anbeginn der Zeit, wie die Wörter

              in ihren Tiefkühlbeuteln wieder zu atmen
beginnen, Trost atmen sie, hasenrein atmen sie, sobald die
Frostfahrer sie ausliefern an die letzten Häuser im
Wendehammer, wo die Edelstahlspülen wohnen, in denen
sie rosig

              zitternd aus den Alupackungen schlüpfen und
sich wieder an die Kaninchenställe erinnern, strohwarm,
und wie der Volkssturmjunge sie streichelte, als er noch
Hände hatte und sie hatten noch Fell, wie die Wörter

              mit den rosigen Nasen zu zucken beginnen, ist
das hier noch Heimat, das Ceranfeld, die Mikrowelle, und
wer soll das wieder sagen dürfen, Land unserer Väter,
schuldenfrei, unter Schutzatmosphäre verpackt, wie

                              sie lauter und lauter werden, mit den Läufen
gegen die Ablaufrinne trommeln, Blut im Boden,
Siedlungsraum, und das Gedicht will bloß flüstern:

Gefrierbrand, Kaninchensprache

Hyesoon Kim


An den Strömen von Formalin

Tag dreiunddreißig

Das Gehirn im Glas lebt noch.
Scheint, als schreibe es ein Gedicht.
Stürzt sich in ein verschwommenes Bild.
Öffnet die Tür des großelterlichen Hauses wie der Wind.
Der Moment, in dem es der verstorbenen Großmutter in die Arme fällt.

Als sich seine nicht vorhandenen Augen öffnen,
schlägt ihm ein als schwarzer Stock wiedergeborener Teil seines entschwundenen Körpers auf die Rübe.
Das Gehirn im Glas hat Schmerzen

Du bist jemand, der in seinem Äußeren ist.
Jemand, dessen Äußeres schmerzt.

Entschwundene Zehen schmerzen.
Versprengte Räume schmerzen. Das Herz schmerzt.

Das Gehirn im Glas kratzt sich mit seinen zehn Fingern am ganzen Körper.
Kratzt, bis Blut quillt.

Das Gehirn im Glas verschwindet.
Fährt mit der U-Bahn, dem Bus, dem Taxi,
und verschwindet aus dem Glas.
Wie ein Kopf in der Plastiktüte eines Serienmörders
verschwindet es schaukelnd.

Will es sagen, will alles sagen,
aber die Lippen sind verschlossen,
die Hände zittern,
wo sind denn meine Schuhe?

Wurzeln einer schwarzblauen Nacht sinken in das Glas hinab.
Die Leute im Labor sind auch schon alle weg.

Das Gehirn im Glas murmelt.
Das schneeweiße Monster in mir
trägt einen blauen Schlafanzug.

Du bist durchsichtig wie Wasser,
und weich fühlst du dich an,
doch du bist tödlich wie der blaue Speichel einer giftigen Schlange.

Das Gehirn im Glas ist das Gehirn eines Betrachters, das Gehirn eines Überlebenden.

Stets will das Gehirn im Glas den Kopf gegen die Wand schlagen und losweinen.
Das Gehirn im Formalinfluss schaukelt hin und her.

Ein obskurer Ort, genau wie dieses Gedicht.
Ein missverständlicher Ort, genau wie dieses Gedicht.
Ein desinfizierter Ort, genau wie dieses Gedicht.

Das Gehirn im Glas setzt den Formalinhut auf und grübelt.

Wieso schmerzt mein Äußeres immerfort?

Wieso schmerzen meine nicht vorhandenen Füße?
Wieso fällt das Flussbett, das meine Fußsohlen trägt, in sich zusammen?

Jemand, der sich selbst in Brand gesteckt hat, steht am Brückengeländer.

Das Gehirn im Glas brüllt.
Das Gehirn im Glas verliert den Verstand.

Was muss ich tun?

Was muss ich tun, um zu vergessen?

Aus dem Koreanischen übersetzt von Dennis Würthner

Tim Holland


all die kleinen steine rollen längst.
bangladesch zieht sich zurück, die malediven.

da sind menschen unter wasser, die tauchen nicht.
in new york baut man wolkenkratzer als staudämme.

berlin ist auch nur auf sand gebaut. schaut zu,
wie ihr land gewinnt. wir häufen erde auf, klopfen salz ab,
kratzen die stadt zusammen, lösen berlin aus dem land.
jetzt plustert sich die stadt auf, blüht auf dem meer, trudelt.

wir sind eine insel, fern aller inseln. eine seerose entzieht sich
der kartographie. die alte wasserwaage horizont wiegt uns.
wind, ein entfernter cousin, kommt zurück, jetzt schlägertyp.

per gesetz werden grenzen subtiler.
berlin ist eine teilbare stadt. wir teilen,
das haben wir derweil gelernt

wir modifizieren unser körperding. es trödelt.
wir sind eingeschweißt wie erdnüsse, frieren nicht, dulden,
fusionieren dann wie verrückt. oder haben glücksanzüge an

die gebäude häuten sich mehrmals im jahr, die gärten wurden
in die vertikale gestemmt. früchte daraus sind nur etwas müder

neue wesen haben sich nebenan installiert.
die sonne tuts nach wie vor.

Simone Kornappel

Ann Cotten


Raummeter (Lyrikfestgedichte)


1

Schlag die Leier, schlag an die Leier!

Heftig halle, was du magst an dir,

in Hallen wüst und schlecht designed.

Bös designed. Die Worte (Wörter)

perlen und häufen sich. Im Rahmen des Erfolgs

gibt es nur eine gewisse Menge davon, was man sagen kann,

irgendwann ist man fertig. Dann blühen immer noch Rosen,

scheint Sonne auf alles was du willst.

Du schweigst und riechst.

Gekauftes Pflaster.


2

Schlag die Leier, Leier,

schlag sie weiter, weiter.

            Was willst du sagen

            in Kürze

            über die wichtigen Themen?

            Spinne ein Netz

            steck die Brust raus

            Po raus rein raus rein

            Meinung Meinung

            Bäh

Schlag die Leier, Leier,

schlag sie weiter, weiter.

            Hast du die Stämme gezählt

            als sie an dir vorbeitransportiert wurden,

            Bäume auf Schienen,

            Ex-Bäume, Linien?

            Jeder Stamm ca. 200 Euro

            Nein, das waren kleinere. 70 Euro.

            Nein, das waren Jahre. 70 Jahre.

            Das waren Zweifel, sollte er sie pflanzen

            oder sollte er sie nicht pflanzen?

            Nein, das waren keine Zweifel.

            Das war ein altes Lied,

            das hieß pflanz und fäll

                        und da stiefelten sie herum auf diesem Gelände

                        und sägten einiges um auf diesem Gelände

                        und zogen es mit Traktoren bis zum Weg

                        und mit herzigen Schwüngen, präzise

                        holte die Greifzange die Mitte der Längen

                        warf sie, dass sie saßen, fuhr sie zum Frachtenbahnhof der ÖBB.

                                   Ein Sägewerk nimmt sie immer ab,

                                   der Umgang ist gut,

                                   guten Ruf haben beide, das Sägewerk zahlt immer prompt,

                                   und das Holz liegt dort nicht lang.

Schlag die Leier, Leier,

schlag sie weiter, weiter.

            Wieviel Pipetten,

            Schürzen, Schutzbrillen,

            sterile, vorabgefüllte

            Schalen und so weiter:

            Rechts sieht man, wie weit der Verkauf vorangeschritten ist

            und was noch zu tun ist und was insbesondere zu beachten ist,

            es sind Blöcke in verschiedenen Farben

            verbunden durch Linien: dem jeweiligen Sachstrang.

Schlag die Leier, Leier,

schlag sie weiter, weiter.

            Das Darstellungsprogramm, das die Epidemiologen verwenden,

            sieht ähnlich aus. Jeder Punkt steht

            in diesem Fall für einen Kranken, dem eine Probe entnommen wurde.

            In der selben Farbe sind Viren mit ähnlichen Genomen,

            größere Mutationen werden durch einen Farbwechsel angezeigt.

            Im Gegensatz zum Darstellungsprogramm der Laborartikelhändler

            ergeben sich hier die Sachstränge

            erst aus der Information.

            Was wir sehen, sind Veränderungen.

            In der Produktion aber muss man nur blind

            die Stränge auseinanderhalten,

            denn die Gegenstände sind gleich und die Verfahren auch.

            Und die Bilder, die sie machen, sind wie Spuren von etwas, was da gewesen ist,

            Schatten von etwas, was woanders ist,

            was gleich aussieht und auch aussehen soll,

            und das man deswegen eben auseinanderhalten muss.

Gib nicht auf!

Schlag die Leier, Leier,

schlag sie weiter, weiter.

            Was ist Verständnis, fragst du zurecht.

            Ist es das Lied aus der Wirklichkeit,

            wo alles zur Linie verschwimmt?

            Ist es der Moment, wo man innehält

            im Singen und stockt vor Entsetzen

            oder bloß, weil –

            Ich sehe jetzt gerade solche Stämme lagern

            neben einem Biomassekraftwerk.

Verdammt.

            Aus ist der Traum, es würden Häuser, Regale, Ställe und Tische gebaut.

            Es werden Statistiken.


3

Das schwächste Glied

Zum Glück

            sind die Erbauer der Straßen

            auch die Benutzer der Straßen

zum Glück

            sind die Frauenminister auch Frauen

zum Glück

            werden Naturliebhaber Förster

            und nicht irgendwelche Söhne die Wälder geerbt haben

zum Glück

            essen die Supermarktbesitzer

            ihre Produkte selber

und die Webdesignerinnen tragen Hosen von den Hosendesignerinnen,

hier und in den Philippinen.


4

Von den Hosendesignerinnen

An den Philippininnen

sieht eigentlich alles ziemlich gut aus.

Wenn die Hosendesignerinnen

beim Fernsehen zusammensitzen,

kommen hin und wieder Deutsche und Amerikanerinnen ins Bild.

Dann sagt die eine,

die mal in Deutschland gereist ist,

„Warum tragen die eigentlich nicht ihre Trachten?“

Dann sagt jemand immer:

„Die Amerikaner haben keine Trachten.“

„Und die Deutschen?“

„Sind eigentlich auch eine amerikanische Kolonie.“

„Und was heißt Amerika!“

„Klar, eigentlich sind nur die Unternehmer aller Welt gemeint. Nationalität egal.“

Dann überlegen sie, was für Kleider den Amerikanern und Deutschen besser stehen würden.

„Das, was sie beim Gospelsingen tragen,“

„Nein, mehr: Pyjamas!“

„Die kommen ja ursprünglich aus Indien, Darling.“

„Und warum ähnelt der indische Pyjama eigentlich dem islamischen Männergewand für den Freitag?“

Sie reden noch eine Weile weiter
und zum Schluss kommen sie darauf, dass die Deutschen und Amerikaner einfach abnehmen müssen.

Dann zucken sie mit den Achseln, räumen das Geschirr auf oder schmeißen die Styroporsachen weg oder reinigen die Alutassen und die Plastikstäbchen

und gehen schlafen, denn sie müssen am nächsten Morgen wieder früh raus, Hosen designen.


5

Bei dem, was die Leute so die ganze Zeit für Schlauheiten reden,

ist es schon erstaunlich,

dass die Gebäude so gerade sind.

Und dann auch noch so furchtbar.


6

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht vor Deprimiertheit es einfach versäumen,

Leier, Leier, Leier, Leier, Leier, hör:

Lote und Wasserwaagen tragen die Leute

in sich, es sist ein Klingen und Schwappen,

wo die Obertöne stimmen und klingen.

Malträtiert man diese Lote

mit einfach nur irgendwo abgeschnittener Logik,

welche kommt von der Gewalt,

hat man nur wirre Gesetze,

die wegen jedem Furz ausbeulen

und nur halten, wenn man scheißfreundlich ist. (1)

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht vor Verzweiflung unterlassen,

Leier, Leier, Leier, Leier,

hör:

Die Leute mögen es nicht, wenn es unlogisch ist,

unklingend, harsch klingend, nur scheinbar rational,

sie verschließen sich dann,

sie kommen gar nicht mehr raus,

wie die Obertöne. Sie gehorchen dann einfach stumpf aufs stumpfe Wort.

Stumpf werden dann die Leute und ihre Arbeit,

werden die Oberflächen, die Farben, die Materialien

und die Proportionen entsprechen nur den jeweiligen Normen

der am billigsten produzierenden Firmen.

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht vor Eifer verpassen,

Leier, Leier, Leier, Leier, Leier, hör:

Es gibt einen Sinn für Rhythmus,

es gibt einen Sinn für Musik,

es gibt einen Sinn für Arbeitszeit,

und für Schönheit der spezifischen Arbeiten

und wer den zertrampelt,

hat ein Land voller Giftmatsch,

eine Welt voller Giftmatsch.

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

schlag Schlamm zu Klang zu menschenähnlichen Figuren,

Leier, Leier, Leier, Leier,

hör:

Sie trainieren es wieder,

die Zeit des Stahl Glas ist vorbei.

Kinder geht zu den Alten

            es ist nicht leicht zu können,

obwohl es einleuchtet.

Zuletzt sollte alles leichter gehen

aber es war zuviel

und Massen von Leichtem sind auch schwer.

Die Alten erkennen eine gute Webseite sofort,

aber sie glauben an nichts mehr.

Wir glauben ihnen nichts mehr.

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht vor Wut einfach lassen,

Leier, Leier, Leier, Leier,

Hör auf die Finger, die am Tischrand trommeln,

hör auf die Anzahl der Striche beim Bürsten.

Hör auf.

Hör nicht mit allem auf!

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht aus Müdigkeit nachlassen,

Leier, Leier, Leier, Leier,

frag und hör!

Zähl die Waggons!

Kalkuliere den Einkaufspreis!

Wieviel mal klicken? Wieviele Schritte?

Wie oft bei Ja-Sagen denkst du an Ficken?

Wie oft beim Ficken denkst du an Nicken?

Das Große im Kleinen, die Arme im Hirn,

die Bewegung in dir drin,

ein Nicken, ein Schlafen, ein Strecken, ein Witz,

aber nachdem das Originelle wieder vorbei ist:

Leier, Leier, schlag die Leier, Leier,

nicht vergessen, nicht vor Glück vernachlässigen,

Leier, Leier, Leier, Leier,

hör:

– – – – – – – – –

Fußnote (1): In anderen Worten, das Volk ist nicht dumm. Der junge Hegel meint ähnliches: „wer da von der unbegreiflichen Dummheit der Menschen viel zu sagen weiß, wer einem auf das Haar hin demonstriert, daß es die größte Torheit sei, daß ein Volk ein solches Vorurteil habe, wer dabei mit den Worten, als da sind Aufklärung, Menschenkenntnis, Geschichte der Menschheit, Glückseligkeit, Vollkommenheit immer um sich wirft, ist weiter nichts als ein Schwätzer der Aufklärung, ein Marktschreier, der schale Universalmedizinen feilbietet. Sie speisen einander mit kahlen Worten und übersehen das heilige, das zarte Gewebe der menschlichen Empfindung.“ (Hegels theologische Jugendschriften nach Handschriften der Kgl. Bibliothek in Berlin. Hg von Hermann Nohl.  S. 16)

Nico Bleutge


öffne die tür, mit ihrem mürben klingen
sieh dir den innendunst an
ein raum wie ausgemalt von ideen
der himmel nach oben geträumte tiefe, eine ferne
ahnung von grundlawinen, ständiges
wachsen und schichten von erde, denk an den
landweg, schau wie vom meer dort hinein, man baute
an einem korallenstock, von vielen stellen zugleich
stießen sie vor, schaltkreise, schleusen von licht
hatten die alten massen durchbrochen,
räume wie glas, mit ihrem kurzen
strahlen, als wäre nicht tag, als gäbe es schnee nicht
und lungen, keine strömung, stau. folge den trupps
auf dem weg nach unten, jedes ding bewegte sich
mit seinem eigenen drang, ein öffnen von schächten
buchten, gespür für veränderte routen. denk wie
der tonsand, fern in der ahnung von muschelschichten
denk wie muskeln und kalk, zelle um zelle
baute sich an, traum von geweben, häuten, wo du hineingehst,
siehst du nicht mehr hinaus, als wäre alles mit allem
verbunden, virus der weltpost, nicht mehr grund und keine
nacht in gedanken, ständig im kreisen, wachsender stoff
der sich trug, vom atlantischen wasser umfaßt, nach dem erdmüden
meer geschlossen, als wäre es sand, als würde das licht sich
verstärken, wege wie luft in den raum zeichnen

Aus: „nachts leuchten die schiffe“ (C.H. Beck 2017)

Charlotte Warsen

in den Säften

als sie klafften vorn gerafft warn und nichts konnten

ging uns laufend kurz der Körper aus
in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
die ersten Sätze schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden

wie spinnert meine Finger leicht und lotrecht über Wangen gehn ein Leben langanhaltend triumphale Regenfälle rege und penible Schlagscheren
es drittelte sich alles gegen Abend so infam und nicht mehr fähig seine Nebel bei sich zu behalten
die letzten Sonnenstrahlen schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden

in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
es trieb der schwerste Saft umzingelt oben träumte brodelnd wie der Fisch im Kalakukko träumt im Brotlaib ungehindert über Gurgelroute
die letzten Sonnenstrahlen lehnten lässig am Massiv (würden en passent mit ihm verschwinden)

es drittelte sich alles gegen Abend so infam und nicht mehr fähig seine Nebel bei sich zu behalten
die letzten Sonnenstrahlen schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden
in Erwartung einer Schroffheit war man unbestimmt und zag erschienen einsam gar

wie spinnert meine Finger leicht und lodernd über Wangen gehn ein Leben langanhaltend exaltierte Regenfälle rege und penible Schlagscheren
es drittelte sich alles gegen Abend so infam und nicht mehr fähig seine Nebel bei sich zu behalten
die letzten Sonnenstrahlen schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden

am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten was und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen
in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
von innen schmiedeeisern schimmernd lang und breit entlangschreddern am Anderen

es drittelte sich alles gegen Abend so infam und nicht mehr fähig seine Nebel bei sich zu behalten
diverse Dragees deren Ergebnisse ungewiss sind rieten zur Abreise rieten zu bleiben
am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten was und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen

in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
die letzten Sonnenstrahlen schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden
es trieb der schwerste Saft umzingelt oben träumte brodelnd wie der Fisch im Kalakukko träumt im Brotlaib ungehindert über Gurgelrouten

das Rendezvous zog ungerendert kühn vorüber wir tunkten alle unsre Ohren ein
die Blicke kamen flötenförmig, weggeschüttet
von innen schmiedeeisern schimmernd lang und breit entlangschreddern am Anderen

diverse Dragees deren Ergebnisse ungewiss sind rieten zur Abreise rieten zu bleiben
am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten uns und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen
so liebe angewidert und zersiedel friedlich wie wenn jemand in die Küche geht und steht vor dem geschlitzten Licht der Jalousie und gibt dir eine Tasse warmes Maggi

seit früh um sieben ekelt mich alles Geschriebene
trieb der schwerste Saft umzingelt oben träumte brodelnd wie der Fisch im Kalakukko träumt im Brotlaib ungehindert über Gurgelrouten
in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar

das Rendezvous zog ungerendert kühn vorüber wir tunkten alle unsre Ohren ein
als ob Apostellöffel zögernd fragend auf flambierte Zuckerhauben schlagen die letzten Sonnenstrahlen lehnten lässig am Massiv (würden en passent mit uns verschwinden)

am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten uns und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen
die Blicke flogen flötenförmig, weggeschüttet
das Rendezvous zog ungerendert kühn vorbei wir tunkten alle unsre Ohren ein

in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
von innen schmiedeeisern schimmernd lang und breit entlangschreddern am Anderen
wie spinnert meine Finger leicht und vollends über Wangen gehn ein Leben lang ereignisreiche Regenfälle rege und rigide Schlagscheren

die letzten Sonnenstrahlen schafften uns und würden en passent mit uns verschwinden
diverse Dragees deren Ergebnisse ungewiss sind rieten zur Abreise rieten zu bleiben
seit früh um sieben ekelt mich alles Geschriebene

am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten uns und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen
die Blicke flötenförmig, weggeschüttet
als ob Apostellöffel zögernd fragend auf flambierte Zuckerhauben schlagen

als ob Apostellöffel zögernd fragend auf flambierte Zuckerhauben schlagen
trieb der schwerste Saft umzingelt oben träumte brodelnd wie der Fisch im Kalakukko träumt im Brotlaib ungehindert über Gurgelrouten
am Hals von alten Amusements befallen rollten alle Elixiere wollten was befahlen uns und schnallten uns und dachten sichs und machten sich an uns zu schaffen

in Erwartung einer Schroffheit war man ungekämmt und zag erschienen einsam gar
die letzten Sonnenstrahlen lehnten lässig am Massiv (würden en passent mit ihm verschwinden)
so liebe angewidert und zersiedel friedlich wie wenn jemand in die Küche geht und steht vor dem geschlitzten Licht der Jalousie und reicht dir eine Tasse heißes Maggi

es drittelte sich alles gegen Abend so infam und nicht mehr fähig seine Nebel bei sich zu behalten
die Blicke flogen flötenförmig, weggeschüttet
das Rendezvous zog ungerendert kühn vorbei wir tunkten alle unsre Ohren ein

Brigitta Falkner

Barbara Köhler


Ins Öffentliche

Eine Konstellation, ein Gedicht als Konstellation von Wörtern, Substantiven, durch das immer gleiche Bindewort verbunden, in Verhältnisse gesetzt ohne ein einziges Verhältniswort, ohne unter, über, neben oder bei etwa, trotzdem beieinander, nebeneinander: Alleen, Blumen, Frauen und ein Bewunderer. Wer das liest, macht sich daraus und davon vielleicht ein Bild, der Blick wandert hin und her zwischen Wörtern, die keine Tätigkeitswörter sind; alle Tätigkeit bleibt den Lesenden überlassen, die einem Text im Buch gegenüber immer Einzelne sind.

Gedichte, denke ich, lassen sich auch verstehen als eine Art BlueBox: als exemplarische Gesten vor einem neutralen Fond, auf den Lesende ihre persönlichen Hintergründe projizieren – und damit, daraus, aus Gedicht und Hintergrund erst ergibt sich das Bild. Können sich also unterschiedliche Bilder ergeben, Lesarten. Zu den Reizen von Gedichten gehört, dass sie persönliche Hintergründe ansprechen, herausfordern und beleben und dass manchmal in dieser Konstellation aus Hintergrund und Gedicht, in der Bewegung zwischen den Wörtern etwas sichtbar, erkennbar wird, was man so vorher noch nicht gesehn hat, eine neue Deutung, Verbindung: Verbindlichkeit.

Wird ein Gedicht in den öffentlichen Raum gestellt, erweitert sich diese Konstellation: von Worten zu Orten. Das Gedicht steht nicht mehr auf einer weißen Seite, sondern beispielsweise auf der Fassade einer Hochschule in Berlin Hellersdorf, gleich am U-Bahnhof. Dort steht es dann nicht mehr unter zwei, sondern vor aller Augen (und auch Verhältniswörter werden da relevant). Hinter dieser Fassade wird gelehrt, gelernt, diskutiert, verwaltet. Der Text erscheint in einer Konstellation realer, alltäglicher und allnächtlicher Umstände, die regelmäßig von der U-Bahn durchquert werden, die dort oberirdisch verkehrt. Konkrete Poesie trifft auf konkrete Verhältnisse, in denen konkrete Menschen ihren Tätigkeiten nachgehen.
Sicher, das kann man begreifen als eine Art Tableau vivant, ein lebendes Bild, und sich selbst – wie vom Gedicht ja vor-gesehen – als dessen admirador: Betrachter, Bewunderer, Zuschauer, Flaneur, als Leser, dem (als ein Nomen agentis) die Aktivität, die Autorität gegenüber dem gemachten Bild zukommt, zugesprochen wird vom Text, zugesagt ist. Es wäre die exakt gleiche Haltung wie gegenüber dem Buch. Das man zuklappen kann, wegstellen, und dann braucht man nichts mehr damit zu tun haben.

Andererseits könnte man sich jedoch auch begreifen als ein Teil dieser erweiterten Konstellation, als jemand, der oder die darin gesehen wird, in ein Bild eingebaut, in Verhältnisse gesetzt, fixiert. Man kann sich überlegen: welches Bild gebe ich, geben wir dabei ab? Und wiederum konkret: als Studierende, als Angestellte, Lehrende dieser Hochschule, an deren Fassade der Text steht. Man kann fragen: Hätten die / haben wir dazu nicht auch etwas zu sagen? Was sagt dieses Gedicht zu uns, über uns? Oder sollten wir hier bloß die Gesehenen sein, die Besagten, diejenigen, über die geschrieben, gesprochen, bestimmt wird, in Nomina patientis? Sollen wir hier etwa festgestellt, zugeklappt, weggestellt werden? Was macht dieser Text in und mit unserer Umgebung, mit uns? (Und die seltsame Redewendung vom „Hinterfragen“ eines Textes nähme so tatsächlich einmal konkrete Gestalt an.)

In dem Moment, wo solche Fragen aus dem realen Umfeld zu dem Gedicht an der Wand gestellt werden, realisieren sie den Text in der Tat als einen öffentlichen, sie nehmen ihn wahr, machen ihn wahr: sie sprechen ihm Verbindlichkeit zu. Der Text wechselt, so ließe sich auch sagen, dabei die Seite: vom Imaginären ins Reale. Die Angeschauten schauen zurück, Vorgestellte stellen sich vor, stellen Fragen – sie stellen Ansprüche. Sie beanspruchen, in dieser Konstellation in gleicher Weise wahrgenommen zu werden wie das Gedicht. Sie sind es, die dem Gedicht damit eine öffentliche Relevanz, Wirksamkeit zusprechen – und paradoxerweise gerade, indem sie dessen Relevanz in den konkreten Umständen, für sich also und ihre Fassade, infrage stellen.

Gerade weil dieser Text den Blick des Betrachters /Bewunderers thematisiert und inszeniert, vermag das zu zeigen, was ein eingehendes Lesen auch bedeuten könnte: nicht lediglich den auktorialen Standpunkt einzunehmen, sich so womöglich mit dem Autor zu identifizieren (dessen Autorität teilhaftig zu werden), nachzuvollziehen wie der die Welt sieht und beschreibt, in Worte fasst – sondern darüber hinaus auch der „anderen Seite“, der Beschriebnen gewahr zu werden. Nur dass diese „andere Seite“ im Fall eines öffentlichen Textes eben keine imaginäre wäre, die man mit eigenen Vorstellungen abgleichen kann, keine Second-Hand-Welt, in der man sich fantastisch unterhalten, die man ohne Probleme (aber gern auchmal mit, wärn ja nur imaginäre) konsumieren kann, lediglich liken oder disliken, sondern so real ist wie man selbst. Hier gibt sie Laut, die andere Seite: sie ist nicht einverstanden.
In diesem Verhältnis verhält man sich in der Tat; für einen Bewunderer allerdings stellte das eine erhebliche Bildstörung dar, wenn nicht gar die Zerstörung seines Bildes. Mit seiner Bewunderung dem Gedicht (/den avenidas y flores y mujeres) gegenüber ist er nicht mehr allein und in einer gesichert privilegierten Position, außerhalb des Bildes bzw. Buches („was man schwarz auf weiß besitzt“: als dessen Eigentümer bürgerlichen Rechts), sondern muss sehen, dass sich die sogenannten „Dinge“ anders verhalten, als er es sich vorgestellt hat.

Der Blick, den dieses Gedicht inszeniert, kann real erwidert werden. Beim Buch ist das Sache der oder des Einzelnen, eine ganz persönliche (wo nicht private) Angelegenheit. Im öffentlichen Raum aber ist das auch eine öffentliche Angelegenheit.

(Februar 2018)

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